Mit dem Abschuss eines zivilen Flugzeugs, bei dem 298 Menschen zu Tode kamen, hat der Ukraine-Konflikt eine neue Dimension erreicht. Ein Ausstieg aus der Eskalation wird immer schwieriger, für die Konfliktparteien, aber auch für die Mächte, die hinter ihnen stehen.

Beide Seiten haben ihre Ziele nicht erreicht. Dem Westen ist es nicht gelungen, Moskau dazu zu bewegen, die Unterstützung für die prorussischen Kämpfer einzustellen, trotz intensiver diplomatischer Bemühungen und trotz mehrerer Sanktionsrunden. Moskau seinerseits hat es nicht geschafft, bestimmenden Einfluss auf die inneren Angelegenheiten der Ukraine zu gewinnen. Das Ergebnis ist ein Patt.

Ulrich Speck
Speck war Gastwissenschaftler bei Carnegie Europe. Seine Forschung konzentriertete sich auf die EU-Außenpolitik und die strategische Rolle Europas in einem veränderten globalen Umfeld.
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Bislang hat der Westen in der Ukraine-Krise auf dreierlei gesetzt: Sanktionen, um Russland davon abzuhalten, offen in die Ostukraine einzumarschieren; Unterstützung des ukrainischen Staates; Rückversicherung für die östlichen Nato-Mitglieder.

Doch das ist nicht genug. Es ist höchste Zeit, den Konflikt dort anzugehen, wo er seine Wurzel hat: in der Beziehung von Putins Russland zum Westen. Nur eine übergreifende Übereinkunft mit dem Kreml kann den Druck aus dem Konflikt herausnehmen. Beide Seiten müssen einen Kompromiss eingehen. Ansonsten droht eine Konfrontation auf breiter Front, bei der beide Seiten nur verlieren können. Das hat der Abschuss von MH17 deutlich vor Augen geführt.

Auf Augenhöhe mit Amerika?

Der Kreml verfolgt außenpolitisch drei Ziele: Erstens die Restauration einer globalen Machtposition, auf Augenhöhe mit Amerika, zweitens die Kontrolle über die postsowjetische Nachbarschaft, drittens die Sicherstellung eines stabilen Flusses von Einkommen aus Öl und Gas. Das überwölbende Ziel ist die Sicherung der Macht der herrschenden Eliten.

Alle drei Ziele sind miteinander verschränkt. Einkünfte aus Öl und Gas ermöglichen massive Aufrüstung und die Schaffung von Klientelverhältnissen in der Nachbarschaft. Die Kontrolle über die Nachbarschaft hilft beim Ausbau des Energieimperiums und gilt als Voraussetzung für eine globale Machtposition. Langfristig soll Russland, so Putins Vision, an die Spitze einer Allianz mit der EU treten. Eurasien würde zu einem von Moskau geführten Machtblock in einer multipolaren Welt, im Wettbewerb mit den Vereinigten Staaten und China.

Die transatlantische Allianz steht

Der Konflikt über die Ukraine markiert das Scheitern dieser Strategie. Russland besitzt nicht genug Attraktivität, um über sein eigenes Territorium hinaus Einfluss zu gewinnen; Geld und Druck reichen nicht aus. Aggression führt zur Gegenwehr, militärische Gewalt zur Bildung von Gegenmacht. Russland fehlen Legalität und Legitimität. Europa ist nicht so schwach wie erwartet, die transatlantische Allianz steht fest zusammen.

Putin schwimmen die Felle davon. Der russische Präsident droht, international zum Paria zu werden. Die Ukraine ist für ihn verloren, andere Nachbarn sind schwer irritiert. EU-Europa hat sich auf Sanktionen geeinigt und unternimmt Schritte, um die Abhängigkeit von russischer Energie zu verringern.

Der Westen sollte diesen Moment nutzen, um Putin vor die Wahl zu stellen. Putin könnte zwei Ziele erreichen, wenn er das dritte aufgibt. Oder das Risiko eingehen, an allen drei Fronten zu scheitern. Eine solche Vereinbarung müsste drei Elemente enthalten:

Der Westen bietet an, Russland als Großmacht zu respektieren, die Sanktionen zurückzufahren und den vormaligen Status wiederherzustellen, insbesondere Mitgliedschaft in der G8. Die nächste Fußball-Weltmeisterschaft wird in Russland ausgetragen.

Zugleich akzeptiert die EU, dass Russland auf Dauer ein Hauptlieferant für Energie bleiben wird (wobei russische Staatsunternehmen selbstverständlich die Regeln des Gemeinsamen Markts respektieren müssen).

Im Gegenzug akzeptiert Russland die volle Souveränität seiner postsowjetischen Nachbarn: Respekt für territoriale Integrität, Bemühung um gemeinsame Lösung der „eingefrorenen Konflikte“, freie Bündniswahl, freundschaftliches Nachbarschaftsverhältnis. Für die Krim müsste eine für Russland wie für die Ukraine akzeptable Lösung gefunden werden, womöglich ein Sonderstatus mit Beziehungen zu beiden Seiten.

Derzeit wäre nur eine westliche Hauptstadt in der Lage, eine solche Strategie zu entwickeln und umzusetzen, und das ist Berlin. Deutschland hat das nötige Gewicht im Westen, und es genießt nach wie vor Glaubwürdigkeit in Moskau.

Der Kreml mag mittlerweile ernüchtert genug sein, um sich für eine solche Vereinbarung zu öffnen. Berlin sollte in jedem Fall die Bereitschaft Moskaus zu einem solchen Deal testen. Die drohende Perspektive eines neuen Ost-West-Konflikts müsste Motivation genug sein.

Dieser Artikel wurde ursprünglich in Frankfurter Allgemeine veröffentlicht.